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Wozu ein Sonntag der Barmherzigkeit?
Ich denke, der Papst wollte
die Kirche und die Menschen zu einem richtigen Gottesbild führen.
Auch wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, welches Bild wir
von Gott haben.
Ist Gott für uns der alte Mann im Himmel, der für Menschen
irgendwelche strenge Gebote erlassen hat und darauf wartet, uns zu bestrafen,
wenn wir sündigen?
Ist Gott derjenige, der meine Freiheit einschränkt; mir nicht
erlaubt, so zu leben, wie ich es will?
Oder ist Gott für mich der Vater, der mich liebt, dem ich wichtig
bin, der mich glücklich machen will?
Ist Gott für mich ein barmherziger und gütiger Gott oder
der strafende Rächer?
Schon das Wort «Barmherzigkeit» sagt viel über
das Wesen Gottes aus — wer Gott ist. In diesem Wort stecken zwei andere
Wörter, nämlich Erbarmen und Herz: Barm (Erbarmen) — herzigkeit
(Herz): Gott hat Erbarmen mit uns, er hat ein Herz für uns.
Noch schöner kommt es im lateinischen Wort zum Ausdruck:
misericordia. Miseri (Not, Misere) und -cordia (cor, Herz). Gott
hat ein Herz für unsere «Misere», für unsere Not.
Gott ist weder Urheber des Bösen noch ist das Böse, seien
es jetzt Kriege, Katastrophen oder persönliche Schicksalsschläge
Strafen Gottes. Im Gegenteil. Gott hat ein Herz für uns und unsere
Nöte, und es schmerzt ihn, wenn wir zu leiden haben. Aber wir Menschen
haben eben die Freiheit. Wir können uns für das Gute entscheiden,
was Gott freut, — aber wir haben auch die Freiheit, uns für das Böse
zu entscheiden. Das schmerzt Gott, aber er respektiert unsere Freiheit
und lässt es zu. Und Gott kann selbst aus dem schlimmsten Übel
noch Gutes wirken. Das größte Unrecht, die größte
Sünde, welche in der Geschichte der Menschheit je geschehen ist, war,
den Sohn Gottes ans Kreuz zu schlagen. Aber gerade dadurch hat Gott uns
erlöst. Das ist die «glückliche Schuld», von der
das Exultet in der Osternacht kündete: «0 glückliche Schuld,
welch großen Erlöser hast du gefunden.»
Die Hl. Schrift berichtet immer wieder von dieser so wesentlichen
Eigenschaft Gottes, der Barmherzigkeit: Denken wir nur an den barmherzigen
Vater, der den verlorenen Sohn in seine Anne nimmt (Lk 15,11) wie barmherzig
Jesus der Ehebrecherin vergibt (Joh 7,53), wo sie doch alle anderen verurteilt
hätten. «Gott ist die Liebe» (Joh 4,8), und die Liebe
ist barmherzig.
Der hl. Thomas von Aquin wurde einmal gefragt, was denn Liebe ist.
Und er antwortete ganz einfach: «Liebe ist, dem anderen (dem Geliebten)
Gutes wollen». Das klingt auf den ersten Anschein vielleicht etwas
oberflächlich, ist es aber nicht. Es bedeutet, das Wohl des anderen
höher zu stellen als das eigene Wohl. Wollen, dass es dem anderen
gut geht, dass der andere glücklich ist. Und wenn es dem Geliebten
schlecht geht, dann haben wir Mitleid. Wir leiden mit. Es ist die barmherzige
Liebe, die Jesus auch von uns fordert. «Liebt
einander, wie ich euch geliebt habe.» (Joh 13,34 und 15,12)
Die Barmherzigkeit Gottes fordert auch uns immer wieder heraus,
barmherzig zu sein mit unserem Nächsten, mit den Schwächen und
Fehlern des Mitmenschen. Barmherzigkeit heißt ja nicht: das Unrecht
gutheißen, die Sünde ignorieren oder «unter den Teppich
kehren». Barmherzigkeit bedeutet immer ein «Trotzdem».
So wie Gott uns trotzdem liebt, trotz unserer Sünden und Schwächen,
so sollen auch wir den Nächsten trotzdem lieben.
(Quelle: "Der Gefährte",
Heft Nr. 3-2014, S. 14f., St. Andrä)
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