Blutwunder des heiligen Januarius
Als Augenzeuge beim Blutwunder des heiligen Januarius...
„San Germaro", wie er in Italien genannt wird, wurde in der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian zu Beginn des vierten Jahrhunderts in der Nähe Neapels, bei Pozzuoli, mit anderen Märtyrern gemeinsam enthauptet.
Im fünften Jahrhundert wurden nachweislich Reliquien von ihm aus der kleinen Kirche „San Gennaro" nach Neapel überführt. Von dort wurden sie später nach Benevento gebracht und später während des 11. Jahrhunderts in der Benediktinerabtei „Monte Vergine" bei Neapel versteckt. Im Jahr 1947 kamen sie schließlich in die Stadt Neapel zurück und werden dort seit damals in einer prächtigen Kapelle des Doms aufbewahrt. Das berühmte Wunder der Verflüssigung des Bluts des Märtyrers, das in einer Phiole aufbewahrt wird, hat nach alter Tradition seit 1389 jährlich stattgefunden.
Gewöhnlich ist in dem antiken gläsernen Flakon eine dunkle, feste und undurchsichtige Masse sichtbar, die etwa die Hälfte des Gefäßes ausfüllt. An drei Tagen des Jahres: Am Hauptfest des Heiligen am 19. September, und an zwei anderen Tagen, die zu ihm in Beziehung stehen, wird die Phiole, die in eine Art metallener Monstranz eingelassen ist, aus der Schatzkapelle herausgenommen und in der Gegenwart einer silbernen Büste des Heiligen, die seine Schädelreliquie enthalten soll, hochgehalten.
Während die Gläubigen inständig beten, beginnt sich gewöhnlich - manchmal nach zwei Minuten, manchmal aber erst nach einer Stunde - die feste Masse zu verflüssigen und vergrößert dabei ihr Volumen. Sie nimmt eine rötliche Farbe an und sprudelt auf. Das Phänomen ist eines der am gründlichsten untersuchten Wunder.
Die Verflüssigung hat nichts mit der Temperatur zu tun. Sie fand statt bei Temperaturen von -7 Grad Celsius, aber auch bei +30 Grad. Das Blut ist das eines Menschen, die Substanz verändert nicht nur ihr Aussehen und ihr Volumen, sonder auch ihr Gewicht. Manchmal scheint das Blut zu kochen, manchmal bleibt es träge und seine Farbe trüb.
Die Phiole stammt, wissenschaftlich erwiesen, aus dem 4. Jahrhundert. Ein Betrug ist ausgeschlossen: zwei Schlüssel von vier verschiedenen Schlössern zum Aufbewahrungsort des Reliquiars verwahrt der Erzbischof, zwei andere der Bürgermeister von Neapel.
Im September hatte ich nun Gelegenheit, selbst Zeuge dieses berühmten Blutwunders zu werden. Am 19. September fand ich mich früh im Dom ein und bekam einen sehr guten Platz im Chorgestühl des Altarraums, von dem aus alles bestens zu beobachten war. Die strahlende Herbstsonne fiel in den schönen Sakralbau aus dem 13. Jahrhundert. Die Kirche war bis zum letzten Platz gefüllt. Auch die christdemokratische Bürgermeisterin der Stadt und Vertreter des öffentlichen Lebens hatten ihre Ehrenplätze eingenommen. An die zweihundert Priester füllten den Altarraum.
Unter herzlichem Applaus zog um 9 Uhr der Kardinal in das Gotteshaus ein. Der Applaus steigerte sich frenetisch, als er aus der Seitenkapelle des hl. Januarius die Reliquien holte: die mit roten Bischofsgewändern bekleidete silberne Büste mit dem Schädel des Bischofs und die Hauptreliquie, die Phiole mit seinem Blut. Die beiden Reliquiare wurden links und rechts von den Chorschranken für alle gut sichtbar auf dafür vorbereitete Sockel abgestellt.
Die Lesung des Wortgottesdienstes erfolgte aus dem Korintherbrief des hl. Paulus, wonach „die Weisheit dieser Welt durch die Torheit des Kreuzes zunichte gemacht worden ist". Ein Hinweis auf das Martyrium, aber auch eine wertvolle Hinführung zum Wunder - auch für mich, denn ich war offen gestanden etwas skeptisch.
Nach dem bis dahin ganz gewöhnlichen verlaufenen Gottesdienst kam der ersehnte Höhepunkt. Der Erzbischof stellte sich zur Predigt vor den Altar, neben ihm standen ein assistierender Priester auf der einen ein Herr in Frack mit einer roten Schärpe über der Brust auf der anderen Seite. Dieser, so sollte ich später erfahren, ist das Haupt der Bruderschaft des hl. Januarius und hat offensichtlich eine besondere Bedeutung als nicht-klerikaler Zeuge des Wunders. Er ging zum Reliquiar mit dem Blut des Märtyrers und flüsterte beim Zurückkommen dem Kardinal einige Worte ins Ohr. Dieser begann seine Predigt mit den von der Papstwahl her vertrauten Worten:
„Annuntio vobis gaudium magnum!" und dann fügte er hinzu: „Das Blut unseres heiligen Patrones San Gennaro hat sich verflüssigt!"
Hierauf war der ganze Dom in regelrechter Verzückung. Jubelrufe und Applaus brandeten auf. Draußen krachten Böllerschüsse und gleich darauf gingen vor den Toren des Doms und vielleicht in ganz Neapel Feuerwerke los. Die ganze Stadt wußte (auch aufgrund der Direktübertragung im örtlichen Fernsehen) in einer Sekunde: das an diesem Tag als besonderes Zeichen für das Schicksal der Stadt gedeutete Blutwunder war eingetreten! Und als anschließend der Erzbischof das Reliquiar durch den Dom trug und es allen Menschen zeigte, dabei manchmal die Phiole schüttelte, und gegen das Sonnenlicht hielt, konnte ich wie all die anderen sehen, daß das vorher getrocknete Blut tatsächlich eine dünnflüssige Form angenommen hatte, gerade so, als würde es gerade einer frischen Wunde entströmen.
P. Felix Seiden CO, „Pfarrblatt", Pfarre St. Rochus, Nr. IV/ 2007.
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